Philosophie als Sprachkritik? — Zur philosophischen und außerphilosophischen Relevanz sprachkritischer Philosophie

Klaus Prätor

Ziel der folgenden Überlegungen ist kein systematischer Überblick über eine philosophische Disziplin “sprachkritische Philosophie”, auch keine Geschichte und Vorgeschichte einer Epoche der Philosophie nach dem “linguistic turn” und auch keine Einführung in eine bestimmte philosophische Richtung. Beabsichtigt ist ein Beitrag zur Klärung unseres philosophischen Selbstverständnisses, der ansetzt an einer Art des Philosophierens, die – ungeachtet ihres möglichen Status als Disziplin, Epoche oder Schule — jedenfalls nur einen Teil der Tätigkeiten darstellt, die sinnvoll Anspruch auf die Bezeichnung Philosophie erheben können. Die Wahl dieses Ausgangspunktes erklärt sich zunächst aus seiner Bedeutung für mein eigenes philosophisches Selbstverständnis, natürlich verbunden mit der Hoffnung, daß dieses nicht eine bloß autobiographische Mitteilung bleiben, sondern sich als verallgemeinerungsfähig erweisen wird.

Etwas weniger ernsthaft ließe sich für die Geeignetheit des gewählten Ausgangspunkts im Hinblick auf die Diskussion philosophischen Selbstverständnisses auch argumentieren, indem man darauf verweist, daß alle die Vorwürfe, die der Philosophie im allgemeinen gemacht werden, wie zum Beispiel Lebensferne, Abstraktheit, Schwerverständlichkeit und Trivialität, aber auch das Fehlen positiven Nutzens oder auch nur einer klar zu erkennenden Aufgabenstellung, innerhalb der Philosophie wieder besonders der sprachkritischen Philosophie gemacht werden. Das hat allerdings nicht dazu geführt, daß diese allenthalben als prototypisch für Philosophie ungesehen wird. Vielmehr besteht vor allem gegenüber den aus dem angelsächsischen Sprachraum stammenden sprachphilosophischen Richtungen noch häufig der Verdacht, es handle sich um ein Nachkriegssurrogat für echte Philosophie. Diese relative Außenseiterstellung ergab sich einerseits aus den politischen Sonderumständen in Deutschland, die dazu führten, daß sprachphilosophische Bemühungen, deren Ansätze im deutschen Sprachraum entstanden waren, nur in der Emigration weiterleben konnten und später, reimportiert, hier zunächst Fremdlinge blieben oder umgekehrt die Bundesrepublik für sie Provinz. Aber die Fremdheit dieser Philosophie auf dem Kontinent hat andererseits auch Gründe, die in ihrem eigenen Selbstverständnis liegen. Sic stellt sich nicht in die Kontinuität traditioneller philosophischer Positionen und Strömungen, deren Probleme sic überwinden will und deren Vorgehensweisen sic als unzureichend ablehnt. Bemerkenswerter als dieses in der Philosophiegeschichte nicht so seltene Bewußtsein des Neuanfangs (oder des Endes) der Philosophie ist aber, daß auch die positiven Anknüpfungspunkte weniger innerhalb der Philosophie als auf dem Gebiet der in engem Kontakt mit mathematischen Problemstellungen entwickelten formalen Logik beziehungsweise dem einer vorphilosophischen Umgangssprache liegen.

Ein Blick auf die Geschichte scheint das Selbstverständnis zu bestätigen. Was Wright von Wittgenstein als ihrem wohl einflußreichsten Vertreter gesagt hat, ließe sich auch für die analytische Sprachphilosophie insgesamt behaupten, nämlich daß es für sie keinen Vorläufer gebe. Es bleibt zu prüfen, inwieweit diese Sicht der Geschichte ihrerseits bestimmt ist durch das ahistorische Selbstverständnis der Mehrzahl der analytischen Philosophen, für die auch in diesem Punkt Wittgenstein als Stellvertreter gelten kann, wenn er zum Beispiel im Tractatus sagt, er gebe keine Quellen an, weil es ihm gleichgültig sei, ob das, was er gedacht habe, schon ein anderer gedacht habe. Subjektiv mag das richtig und berechtigt sein. Gleichwohl ist das durch diese Einstellung möglicherweise mitbedingte, von Anhängern und Gegnern weithin geteilte Geschichtsbild revisionsbedürftig. Die Revision vorzunehmen, bedarf umfangreicher philosophiehistorischer Forschung. Hier soll nur die Notwendigkeit der Revision belegt werden. Dabei kann es natürlich nicht darum gehen, die Jahrhunderte alte, allseits bekannte Existenz von Sprachphilosophie als einer Disziplin, vergleichbar der Rechts- oder Geschichtsphilosophie, nachzuweisen. Die These ist vielmehr, daß Intentionen und Gedanken, die eine Sprachphilosophie neuer Qualität hervorbrachtcn und die dem zwanzigsten Jahrhundert vorbehalten schienen, sich bereits in weit früheren Entwürfen finden. Dazu zwei Zitate:

“Werde ich es sagen, endlich laut sagen dürfen: daß sich mir die Geschichte der Philosophie je länger desto mehr als ein Drama entwickelte, worin Vernunft und Sprache die Menächmen spielen. Dieses sonderbare Drama hat es eine Katastrophe, einen Ausgang; oder reihen sich nur immer neue Episoden an? Ein Mann, den nun alles was Augen hat, groß nennt,” (Kant) “schien den Gang der Verwicklungen dieses Stückes erforscht zu haben, und ihm ein Ende abzusehen. Mehrere behaupten: es sei nun dies gefunden und bekannt. Vielleicht mit Recht… Und es fehlte nur an einer Critik der Sprache, die eine Metakritik der Vernunft seyn würde, um uns alle über Metaphysik eines Sinnes werden zu lassen.”

F. H. Jacobi, Zugabe an Erhard O, zu Allwllls Briefsammlung, 1792 1

“Die erste Reinigung der Philosophie bestand in dem – Versuch, die Vernunft von aller Überlieferung, Tradition und Glauben daran unabhängig zu machen. Die zweite (Kant) ist noch transcendenter, und läuft auf nichts weniger als eine Unabhängigkeit von der Erfahrung hinaus. … Der dritte, höchste und gleichsam empirische Purismus betrifft also noch die Sprache, das einzige, erste und letzte Organon und Kriterion der Vernunft.”

J. G. Hamann, Metakritik über den Purtsmum der reinen Vernunft, 1784 2

Die zitierten Autoren können aufgrund ihres Gesamtwerks nicht eigentlich als Sprachphilosophen bezeichnet werden und sind – vielleicht deshalb – noch relativ prominent. Von ihnen fuhrt eine Kette ähnlicher Äußerungen unbekannter sprachkritischer Philosophen bis hin etwa zu F. M. Müller, zeitweilig Professor in Oxford, der vor aller analytischen Philosophie 1888 prophezeit hat, alle künftige Philosophie werde ausschließlich Sprachphilosophie sein. 3 Aus dem Angeführten wird bereits deutlich, daß Sprachphilosophie in dieser Tradition nicht als beliebige Teildisziplin, sondern als Grundlegungsdisziplin betrachtet wird, insbesondere als Fortführung und Ergänzung der Kantischen Vernunftkritik durch Sprachkritik. Ein genaueres Eingehen auf die Geschichte der philosophischen Sprachkritik würde bestätigen, daß diese sich im Brennpunkt philosophischer Diskussion ausgebildet hat (und nicht etwa von außen an philosophische Probleme herangetragen wurde), besonders im kritischen Anschluß an Kant, dessen transzendentale Argumentation für sie – allerdings in charakteristisch abgewandelter Weise- bestimmend blieb. Sie bildet damit eine eigene, schwache Tradition im Schatten der dominierenden Hauptlinie des deutschen Idealismus. Gegenüber Hegel nimmt die Sprachkritik vor allem wegen seines Sprachgebrauchs eine überwiegend negative Stellung ein, wie überhaupt die Terminologie der Philosophie einen ihrer Hauptkritikpunkte bildet. So glaubt F. M. Müller,

„daß es wirklich für die Philosophie die größte Wohltat wäre, wenn alle derartigen Ausdrücke wie Eindruck, Empfindung, Wahrnehmung, Anschauung, Vorstellung, Vergegenwärtigung, Begriff, Idee, Gedanke, Erkenntniß, ferner Sinn, Geist, Gcdächtniß, Intellect, Verstand, Vernunft, Seele, Gemüth u.s.w. eine Zeit lang aus unseren philosophischen Wörterbüchern verbannt und nicht eher wieder aufgenommen würden, bis sie eine vollständige Klärung erfahren hätten.”

F. M. Müller, Das Denken im Lichte der Sprache, 1888 4

Festzuhalten bleibt zunächst das Abzielen auf eine konkrete Verbesserung der philosophischen Terminologie, motiviert durch die Hoffnung, auf diese Weise den ausweglos scheinenden Streit zwischen verschiedenen philosophischen Positionen zu beenden. Dieses Programm unterscheidet sich von anderen sprachphilosophischen Bemühungen dadurch, daß hier die Leistungsfähigkeit der eigenen (Fach-) Sprache im Hinblick auf die für philosophische Theorien erhobenen Geltungsansprüche thematisiert wird. Es setzt – neben einer kritischen Einschätzung der faktischen Fortschritte der zeitgenössischen Philosophie — ein klares Bewußtsein von der Bedeutung der sprachlichen Vermitteltheit ihrer Ergebnisse voraus.

Doch darin erschöpft sich die Rolle sprachkritischer Philosophie nicht. Die kritische Wendung auf die eigene Sprache macht augenfällig, daß diese Sprache bereits Bedingung der Möglichkeit der Kritik ist. Das führt einerseits zu einem Grundlegungsproblem der sprachkritischen Philosophie, von dem später noch die Rede sein wird, andererseits — indem diese Unhintergehbarkeit der Sprache als prinzipielle begriffen wird — zur Einsicht in den transzendentalen Charakter der Sprache für alle Erkenntnis. Dies erklärt die Nähe und gleichzeitig die Differenz zur Transzendcntalphilosophic in der Nachfolge Kants. Denn damit tritt die Kritik der Sprache in Konkurrenz zu der Kritik der (reinen) Vernunft und beansprucht, nicht nur Mittel zur Vorklärung philosophischer Probleme, sondern selbst zentraler Teil der Philosophie zu sein.

Daß der transzendentale Charakter der Sprache so lange nicht gesehen wurde, ist bedingt durch die Einschätzung der Rolle der Sprache, insbesondere in ihrem Zusammenhang mit dem Denken. In der neuzeitlichen Philosophie wurde die Sprache nur als äußerer Ausdruck des Denkens betrachtet, nur als Mittel zur Mitteilung des Gedachten. Begriffe und Gedanken galten als vorgängig vorhanden gegenüber Worten und Sätzen, die jene nur repräsentieren. Dieses Modell, vielleicht nahegclcgt durch die Erfahrung, daß sich ein Gedanke durch verschiedene Formulierungen, auch in verschiedenen Sprachen, ausdrücken läßt, wollen die sprachkritischen Philosophen vom Kopf auf die Füße stellen. Das Verhältnis von Sprache und Denken bildet deshalb einen Kernpunkt ihrer Untersuchungen. Dazu ein letztes, langes, aber auch lustiges und lehrreiches Zitat:

’’Aber, Aber —! Ich sehe wohl Ihre bedenkliche Miene und weiß, was sie mir bedeutet. Sie meinen: Wenn auch anfangs die Sprachen concret sind und erst spät abstrakt und immer abstrakter erscheinen: wo liegt der strenge Beweis, daß das vorangegangene Concrete wirklich allein nicht nur Gelegenheit und Veranlassung, sondern auch Grund und Ursache des spätem Abstrakten sei, daß dies wesentlich abhängig sei von jenem, von der Sprache gemacht und erst abgeleitet aus jenem. Sie meinen: Es stört jene Entwicklung nicht die Ansicht im mindesten, daß das Denken aus eigner Kraft die Begriffe hervorrufe, ohne an irgend etwas Aeußerlichcm forttappen zu müssen (…)

Wir wollen uns obige Einwendung, oder besser gesagt, Ausrede, durch eine kleine Geschichte noch anschaulicher machen. Gesetzt, man hätte gewettet auf einen erhöhten Punkt emporzukommen, ohne über die hinaufführende Stiege zu gehen, sondern unmittelbar durch die Luft, sei es durch Sprung, oder wie es nun jeder möge und könne. Alle hätten davon abstehen müssen, einer aber ergriffe eine Leiter, stiege gemächlich hinauf, und böte sich, oben angelangt, den Preis in richtiger Zahlung aus, aus dem Grunde: die Leiter sei nur zufällig gewesen, er hätte auf den Sprossen nicht geruht, sondern an den Stellen der Luft, wo sich jene zufällig befunden hätte. Was würde man ihm sagen? Man würde ihn auslachen und antworten, wenn die Sprossen nur zufällig sich dort befanden und du eigentlich durch die Luft gegangen bist, so thue es noch einmal und entferne ausdrücklich jenen Zufall, welcher dem Anerkenntnis deiner Kunst bei uns im Wege steht. Er aber ginge nun über die Treppe: bediente sich desselben Grundes, und bedauerte nur, daß diese nicht auch fortgenommen werden könnte. Wird er jetzt mehr Recht haben, und weniger verlacht werden? – dies ist aber unser Fall; denn was geschehen ist, läßt sich freilich nicht rückgängig machen; hier ist keine Probe unter andern Verhältnissen möglich. Aber man hätte noch kürzern Proceß mit unserm Witzkopf machen müssen. Man sperre die Treppe ausdrücklich, und wenn er dann auf seiner Leiter oben ist, so nehme man diese Zufälligkeit hinweg., und verlange, wie nicht unbillig, er solle auch eben so durch die Luft hinabsteigen. Alsdann wird er den Hals brechen oder sich ergeben müssen. Dies ist nun noch weit mehr unser Fall.

Denn die Sprache, wie ich Ihnen soeben schrieb, hat selbst hinter sich alle Uebergänge vernichtet und die Spur ihres Wegs unkenntlich gemacht: sic selbst hat die Leiter fortgenommen, nachdem wir oben sind. Wenn nun die Philosophen nicht durch gründliches Sprachstudium diese Uebergänge, diese hohe Leiter, zu ersetzen wissen, wovon allein der Sinn und die Bedeutung nicht einzelner Wörter sondern der ganzen Sprache und ihres Gebrauchs abhängt — was folgt? — daß sie den Hals brechen. Dies endlich ist erst ganz unser Fall. Ich hoffe Sie noch mit einer Fülle der interessantesten Beispiele bewirthen zu können, wie die Philosophen allen Rückweg, d. h. allen Begriff von dem natürlichen Gebrauch der Sprache und mithin des Denkens verloren haben, wie sie aus blauer Höhe sich herabstürzen, mehrmals in der Luft sich überschlagend.“

O. F. Gruppe, Antäus. Ein Briefwechsel über speculative Philosophie in ihrem Conflict mit Wissenschaft und Sprache, 1831. 5

Wie Gruppe mehrfach hervorhebt, ist sein Argument für die Sprache und gegen das Denken als Ausgangspunkt einer Theorie der Erkenntnis die leichtere und unmittelbarere Zugänglichkeit der Sprache. Man kann das ein methodologisches Argument nennen, weil es an den Erfordernissen des wissenschaftlichen, auch philosophischen Meinungsbildungsprozesses orientiert ist und weil es für diesen die Notwendigkeit eines schrittweise geordneten, mithin methodischen Vorgehens unterstellt. In den methodischen Zusammenhang sollen auch die Mittel des Erkenntnisprozesses, insbesondere die verwendete Sprache, einbezogen werden. Methodisches Vorgehen erscheint in diesem Zusammenhang als Sonderfall einer pragmatischen Ordnung. Als pragmatische Ordnung bezeichnete Dingier die Notwendigkeit der Einhaltung gewisser Reihenfolgen in Handlungsvollzügen, zum Beispiel die Notwendigkeit, bei der Herstellung einer bemalten Holzstatue diese zuerst zu schnitzen und dann zu bemalen. Einer pragmatischen Ordnung entspricht demnach auch die Forderung, Werkzeuge (im weiten Sinn) vor den mit ihrer Hilfe herzustellenden Produkten zur Verfügung zu stellen. Die Einhaltung einer pragmatischen Ordnung zu fordern, wirkt sinnlos, weil ein Verstoß dagegen ohnehin notwendig zum Scheitern der Handlungsfolge führen muß. Betrachtet man aber den Fall von Begründungshandlungen, so ist zwar auch hier mit einem Verstoß gegen die methodisch erforderliche Ordnung die Begründung gescheitert, dieses Scheitern tritt aber nicht offen zutage, da es nur festgcstellt werden kann, indem man die Begründungshandlungen auf ihre Korrektheit und in diesem Zusammenhang auch auf ihre methodische Folgerichtigkeit überprüft. Auch das eventuelle Sichtbarwerden des Scheiterns in Mißerfolgen einer auf dem unzureichend begründeten Wissen basierenden Praxis macht den Nachvollzug der Begründung nicht überflüssig, da in eine Analyse, die die Ursachen des Mißerfolgs aufdecken soll, die Begründungshandlungen einbezogen werden müssen. Weil ohne Sprache keine Begründungshandlungen vorgenommen werden können, kann man die Sprache als das Werkzeug der Philosophen betrachten, wobei sie natürlich nicht nur für diese und für diese nicht nur Werkzeug ist. Die Forderung nach methodischer Vorgängigkeit der Sprache widerspricht nicht der Möglichkeit einer manchmal dialektisch genannten Rückwirkung der Erkenntnis auf die Sprache. Auch Werkzeuge werden im Hinblick auf ihre Anwendung entworfen und neu auftretenden Anforderungen durch Modifikationen angepaßt. Das ändert nichts daran, daß sic bei ihrem Einsatz zur Verfügung stehen müssen.

Die Forderung nach methodischer Vorgängigkeit der Sprache ist zu ergänzen durch die Forderung nach methodischem Aufbau der verwendeten Sprache, die sich nicht zwingend aus der ersten ergibt. Es ist sehr wohl vorstellbar, die Unhintergehbarkeit der Sprache anzuerkennen, die Sprache selbst aber als im ganzen vorgegeben zu akzeptieren. Diese Position würde als sprachkritische vermutlich schnell in Schwierigkeiten geraten, wenn sie ihre Kritik an einem bestimmten Sprachgebrauch ohne Dogmatismus begründen sollte. Als nicht sprach kritische Position, die auch innerhalb der Sprache alles so läßt, wie es ist, hätte sie diese Probleme nicht. Sie ließe sich dann nur in Frage stellen durch eine Kritik ihrer Zielsetzungen. Ehe darauf eingegangen wird, soll der Einwand bedacht werden, daß ein methodischer Aufbau von Sprache nicht möglich sei, weil Unhintergehbarkeit nicht nur für Sprache überhaupt oder für das Sprachvermögen gelte, sondern auch für die jeweils gesprochene natürliche Sprache. Diese Unhintergehbarkeit der natürlichen Sprache, die zum Credo vieler philosophischer Richtungen gehört, muß nicht grundsätzlich bestritten werden; es ist lediglich zu zeigen, daß keine Unhintergehbarkeit in methodischer Hinsicht vorliegt. Die Schwierigkeiten entstehen dadurch, daß jede Begriffserklärung durch Definition oder definitionsähnliche Erläuterungen ihrerseits von Wörtern Gebrauch machen muß. Sollen auch diese definiert werden, so droht unausweichlich ein unendlicher Regreß, ein Zirkel oder ein willkürlicher Abbruch der Definitionskette. Die analytische Philosophie des 20. Jahrhunderts hat in ihren zwei Hauptrichtungen unterschiedliche Wege eingeschlagen, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen. Die ordinary language philosophy versucht, einen problematischen bildungssprachlichen Anteil der natürlichen Sprache von einem unproblematischen umgangssprachlichen zu unterscheiden und Wissenschaftssprache durch den definitorischen Rückgang auf Wörter der Umgangssprache zu sichern. Angesichts der von alltäglicher Praxis weit abweichenden Handlungszusammenhänge in den meisten Wissenschaften erscheint es zweifelhaft, ob eine reduktionistische Erläuterung der in Wissenschaften erforderlichen Unterscheidungen ausschließlich unter Verwendung der Umgangssprache möglich ist. Während bei der ordinary language philosophy die These von der Unhintergehbarkeit zumindest gewisser Teile natürlicher Sprache zum Programm gehört, versucht der formalsprachliche Ansatz des logischen Empirismus, diese Abhängigkeit durch die Konstruktion künstlicher “Sprachen” zu überwinden. Diese bestehen — kurz gesagt — aus einem Zeichenvorrat und einer Reihe von Regeln, die es erlauben, durch Verknüpfung der Zeichen Figuren herzustellen. Alles das könnte theoretisch auch sprachfrei erlernt werden; sobald aber eine derartige Kalkülsprache angewandt werden soll, braucht man eine inhaltliche Interpretation der Zeichen in einer von der Kalkülsprache unabhängigen Metasprache. Da man nicht eine unendliche Reihe von Metasprachen aufeinandertürmen kann, muß als oberste Metasprache wieder eine natürliche Sprache benutzt werden. Das Prinzip der Unhintergehbarkeit natürlicher Sprache hat damit an unerwarteter Stelle eine Bestätigung gefunden,

Solange unterstellt wird, daß neue Wörter stets durch andere Wörter erklärt werden müssen, ist diese Unhintergehbarkeit allerdings unvermeidlich. Sobald aber zu den “klassischen” Methoden der Worterläuterung die Möglichkeit hinzugenommen wird, Wörter dadurch einzuführen, daß sie innerhalb einer Reihe von geeigneten Situationen im Kontext mit anderen Handlungen durch Einübung erlernt werden – beispielsweise in einer exemplarischen Einführung anhand des Verweises auf Beispiele und Gegenbeispiele -, erscheint sie nicht mehr als zwangsläufig. Die Eingebundenheit von Sprache und Spracherwerb in einen pragmatischen Zusammenhang war bereits der ordinary language philosophy geläufig. Aber erst innerhalb konstruktiver Philosophie ist diese Einsicht eingesetzt worden für den methodischen Aufbau von Wissenschaftssprachen. Kritische Fragen nach der praktischen Durchführbarkeit dieses Programms haben es in einem wesentlichen Punkt richtig verstanden: es geht in der Tat darum, einen methodischen Sprachaufbau in den Fachwissenschaften und in anderen Bereichen, in denen argumentativ geredet werden soll, insbesondere aber in Philosophie selbst, zu verwirklichen. Diese Verwirklichung ist jedoch nicht so zu denken, daß auf die Verwendung der natürlichen Sprache fortan verzichtet werden soll. Es wird nicht bestritten, daß die Teile unserer Sprache, die als Umgangssprache den Zwecken alltäglicher Verständigung dienen, ihre Aufgabe im wesentlichen zufriedenstellend erfüllen. Aufgrund der andersartigen Zielsetzungen von Wissenschaft und der daraus resultierenden Unterscheidungsbedürfnisse ist es zwar illusorisch, wissenschaftliche Sprache reduktionistisch ausschließlich unter Verwendung der Umgangssprache definieren zu wollen, aber dies kann deren Einführung dennoch beträchtlich erleichtern: Statt sich in die Situationen zu begeben, die zur Einführung gewisser sprachlicher Mittel geeignet sind, begnügt man sich mit der Beschreibung der Situationen und der zur Einführung nötigen Handlungen in der Annahme, daß der Adressat mit derartigen Situationen vertraut ist und sich den korrekten Sprachgebrauch auf diese vermittelte Weise aneignen kann. Dabei unterscheidet man die zu erlernende Sprache als Orthosprache von der zur Beschreibung der Einführungssituation benutzten Parasprache.

Die Verwendung der Umgangssprache als Parasprache ist deshalb methodologisch unbedenklich, weil sie sich bei Bedarf dadurch eliminieren ließe, daß man sich in die fragliche Situation begibt. Auch Orthosprache und natürliche Sprache sind nicht als unvermittelt zu denken. Man kann annehmen, gewisse Unterscheidungen der Orthosprache seien in natürlicher Sprache bereits intendiert. Umgekehrt – und wahrscheinlich angemessener – formuliert: Der Aufbau einer orthosprachlichen Terminologie erfolgt häufig als präzisierende Rekonstruktion von Teilen unserer natürlichen Sprache.

Um Einwänden zuvorzukommen, sei betont, daß durch eine sprachkritische Rekonstruktion nicht das Problem gelöst ist, daß vorurteilsbeladene, ideologische oder sachfremde Unterscheidungen, die man in seiner natürlichen Sprache erlernt hat, in die neue Sprache übertragen werden können. Sprachkritik soll zunächst einmal lediglich die methodische Verstehbarkeit gewährleisten, sie reicht für sich allein nicht aus, um bloß tradierte Unterscheidungen durch begründetere zu ersetzen. Indem sie aber Gebrauch und Zusammenhang der verwendeten sprachlichen Mittel durchsichtiger macht, leistet sie einen Beitrag, um diese auch einer inhaltlichen Kritik zuzuführen. Eine Garantie, daß nicht doch tradierte Unterscheidungen unbegründet Eingang finden, kann es allerdings nicht geben.

Auf der Tatsache, daß nicht nur Philosophie, sondern auch Fachwissenschaften, politische Argumentation, die Erörterung persönlicher Probleme auf Sprache verwiesen sind, basiert der Anspruch philosophischer Sprachkritik auf außerphilosophische Relevanz. Wie man diese Relevanz einschätzt, hängt davon ab, für wie unzulänglich man die faktisch verwendete Sprache halt. Statt meine eigene (schlechte) Meinung vom gegenwärtigen Zustand der Wissenschaftssprachen wortreich darzulegen, möchte ich – ohne dabei auf politische und ökonomische Ursachen einzugehen – zeigen, wie es methodologisch überhaupt zu diesem Zustand kommen kann. Geht man davon aus, daß Wissenschaft eine Institution mit dem Zweck sein soll, die Probleme unseres Lebens durch die Bereitstellung unterschiedlichen, zum Beispiel technischen und politischen, Wissens besser bewältigen zu können, so entwickelt sie ihre Problemstellungen, aber auch ihre Sprache, im Ausgang von alltäglicher Praxis und in Orientierung auf diese hin. Aber der Spracherwerb und der Sprachgebrauch in Wissenschaften kontrolliert sich nicht an dieser Praxis, sondern an der Metapraxis des Wissenschaftsbetriebes, also beispielsweise an der Frage, ob die anderen Seminarteilnehmer den eigenen Sprachgebrauch wohlwollend oder zumindest gleichgültig zur Kenntnis nehmen. Da eine unmittelbare Kontrolle an der Lebenspraxis auch gar nicht möglich ist, kann eine derartige Verselbständigung nur durch einen expliziten Nachvollzug des methodisch-pragmatischen Zusammenhangs zwischen Wissenschaftssprache und Lebenspraxis vermieden werden. Daß dieser Nachvollzug gegenwärtig in vielen Disziplinen nicht geleistet wird, läßt sich nicht durch einige Beispiele belegen. Einmal deshalb nicht, weil die aktuelle Unverständlichkeit eines Textstücks kein Zeichen sein muß, daß es wirklich nicht methodisch verstehbar ist, zum anderen, weil die Tatsache, daß es einige schlechte Texte gibt, ohnedies von niemandem bestritten wird. Die Erfahrung von der Unzulänglichkeit einer Terminologie läßt sich nur im Betreiben der jeweiligen Wissenschaft gewinnen. Dabei ist es allerdings in der Regel so, daß der schon sprachkritisch Geschulte häufiger Anstoß nimmt als andere, weil, wer wenig Anforderungen stellt, auch wenig Enttäuschungen erleidet. Stellen Sie deshalb, bei sich und bei anderen, in den Fachwissenschaften und in der Philosophie, Anforderungen an eine methodisch herstellbare Verstehbarkeit der verwendeten Sprache und drängen Sie dort, wo Sie Mängel konkret erfahren, auf Änderung! Dieses Verhalten, wie auch die Aufforderung dazu, ist in Philosophie und Wissenschaften nicht sehr verbreitet, denn auch bezüglich der Sprache neigen die Philosophen nach wie vor eher dazu, sie zu interpretieren, als sie zu verändern – wie in globalerem Zusammenhang bereits ein Philosoph des 19. Jahrhunderts getadelt hat. Gerade wenn man sich der zentralen Rolle der Sprache für den Meinungsbildungsprozeß auch des je einzelnen bewußt ist, wird man aber nicht überrascht sein von einer abwehrenden Haltung gegenüber der Aufforderung zur Revision des eigenen Sprachgebrauchs, die ja eine Revision der jeweiligen “Weltsicht” nach sich ziehen könnte. Im Hinblick auf Bedenken gegen übergroße Reglementierung sei versichert, daß mit dem Entschluß zu sprachkritischem Vorgehen keine Entscheidung für so etwas wie eine bundeseinheitlich normierte Fachsprache verbunden ist. Es geht lediglich darum, daß jeder für die Terminologie, die er verwendet, einen Weg zu ihrer Verständlichmachung angeben können soll. Weder er noch andere sind auf diesen Sprachgebrauch auf Dauer verpflichtet. Er kann jederzeit durch einen anderen abgelöst werden, nur soll dieser wiederum methodisch eingeführt werden. Davon bleibt unberührt, daß nach wie vor eine gewisse Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs in einer Fachwissenschaft wünschenswert ist. Zwischen rivalisierenden Terminologien muß aber, ihre methodische Verstehbarkeit vorausgesetzt, nach inhaltlichen Kriterien wie Problemangemessenheit, Unterscheidungsreichtum oder ähnlichem entschieden werden. Sprachkritik bleibt demgegenüber neutral. Nach dem Gesagten dürfte auch deutlich sein, daß kein Widerspruch zwischen der Tatsache und Notwendigkeit des sogenannten historischen Wandels von Begriffen, der eher ein historischer Wechsel von Begriffen ist, und der Forderung nach ihrer methodischen Einführung besteht. Gerade die differenzierte Unterscheidung und nicht die Gleichsetzung erlaubt ja erst, den Wandel als solchen zu erkennen. Ein anderer Einwand geht dahin, daß es nicht darauf ankäme, Wörter zu klaren, sondern sich mit den Sachen zu beschäftigen. Pointiert kann man darauf antworten, daß die Klärung von Wörtern darin besteht, sich mit den Sachen zu beschäftigen. Häufig besteht eine Tendenz, die inhaltlichen Fragen einer Wissenschaft mit den empirisch entscheidbaren gleichzusetzen und demgegenüber alle terminologischen als formal zu betrachten. Damit verbindet sich eine erhebliche Unterschätzung der Relevanz terminologischer Fragen. Weiß man aber, was beispielsweise die Bestimmung des Begriffs der Masse als schwere oder als träge für die neuzeitliche Physik oder des Begriffs des wirtschaftlichen Werts als entgangener subjektiver Nutzen oder als durchschnittliche gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit für die Ökonomie bedeutet, wird man ihren Anteil gerade an den strittigen Problemen der Wissenschaften nicht als gering veranschlagen können. Auch wenn sich ihre Richtigkeit nicht empirisch feststellen läßt, bemißt sich die Festlegung der Termini einer Wissenschaft doch selbstverständlich nach inhaltlichen Kriterien und erfordert deshalb auch Sachkenntnis auf dem betreffenden Gebiet.

Die Aufgabe von Sprachphilosophie besteht darin, Prinzipien für den Aufbau von Wissenschaftssprache bereitzustellen. Ohne inhaltliche Voraussetzungen zu machen, wird Sprachkritik damit doch inhaltlich relevant: Da ein methodisch verstellbarer Aufbau einer Terminologie natürlich nicht in beliebiger Reihenfolge erfolgen kann, ergeben sich inhaltliche Einschränkungen, derart daß gewisse fachwissenschaftliche Konzeptionen als methodische entweder überhaupt nicht durchführbar sind oder ihre Überführung in eine methodisch korrekte Theorie nicht ohne inhaltliche Veränderung möglich ist. Ins Positive gewendet heißt das: die Forderung der methodischen Verstehbarkeit liefert ein Kriterium sowohl für den inhaltlichen Aufbau einer Wissenschaft als auch für den methodischen Zusammenhang verschiedener Wissenschaften. Darüber hinaus ist Sprachphilosophie aber auch selbst an der inhaltlichen Klärung von Begriffen beteiligt. Das gilt zuerst für die innerhalb von Sprachkritik selbst zu verwendende Sprache, die natürlich nicht nur methodisch verstehbar, sondern auch inhaltlich gerechtfertigt sein soll. Diese Sprache besteht zu einem wesentlichen Teil in Termini für semantisch-syntaktische Kategorien von Wörtern, also für verschiedene Funktionen von Wörtern im Satzzusammenhang. Diese Einteilung deckt sich in den natürlichen Sprachen nicht mit der grammatisch-syntaktischen Einteilung der Wörter. Die entstehende Differenz führt zu, von Ryle so genannten, systematisch irreführenden Ausdrücken, deren grammatische Form einen anderen als ihren wirklichen sprachlich-logischen Zusammenhang vortäuscht, oder sogar zu sinnlosen, nur grammatisch korrekten Sätzen. Der Klärung der durch solche Kategorienverwechslung entstehenden Sprachverwirrung gilt die besondere Aufmerksamkeit sprachkritischer Philosophie. Die dazu erforderliche Sachkenntnis ist nicht die einer speziellen Fachwissenschaft, auch wenn die betreffenden Ausdrücke in fachwissenschaftlichem Zusammenhang verwendet werden, sondern die Fähigkeit zur Einordnung in die richtige semantisch-syntaktische Kategorie. Ein einfaches Beispiel semantisch- syntaktischer Verwechslung stellt die Mehrdeutigkeit von “ist” im Deutschen dar: unter anderem als Kopula im prädikativen Satz (z. B. “Siena ist eine Stadt”), wo es das affirmative Zusprechen eines Prädikators (hier: “Stadt”) zum Ausdruck bringt, und als Prädikator “gleich (identisch) sein mit” in Sätzen wie “Diese Stadt ist Siena”. Ein Verkennen dieses Unterschiedes kann beispielsweise dazu verführen – und hat das auch getan -, grundlos Spekulationen über die Art der Gleichheitsbeziehung zwischen Siena und einem durch „Stadt” bezeichneten abstrakten Gegenstand anzustellen. Selbstverständlich gibt nicht jede sprachliche Mehrdeutigkeit Anlaß zu einer Verwechslung semantisch-syntaktischer Kategorien, da Mehrdeutigkeit ja auch innerhalb einer Kategorie möglich ist; umgekehrt hat eine derartige Verwechslung nicht immer in Homophonie ihren Ursprung.

Ersichtlich entstehen derartige Probleme nicht schon beim Gebrauch der Sätze, sondern erst bei der auf Verallgemeinerung abzielenden Reflexion auf diese, beziehungsweise auf ihre Inhalte. Es überrascht daher nicht, daß besonders häufig philosophische Probleme von dieser Art sind und daß sich an die Entdeckung der Möglichkeit ihrer Auflösung durch Sprachanalyse die Hoffnung geknüpft hat, auf diese Weise alle philosophischen Probleme als Scheinprobleme erweisen zu können. Selbst wenn man ungeachtet aller Bedenken das Gelingen unterstellt, bleibt die Frage, ob hier global von Auflösung und nicht besser von einer Uminterpretierung der Probleme, die allerdings die Auflösung erleichtert, die Rede sein sollte. Einen Hinweis darauf bildet die „Wiederkehr” von Problemen in verwandter Gestalt, zum Beispiel als “moderner Universalienstreit” innerhalb sprachkritischer Philosophie, der deutlichen Bezug zum gewöhnlich ontologisch genannten Universalienstreit des Mittelalters hat. Ähnlichkeiten sollen aber nicht die Fortschritte verdecken; diese bestehen hier im Programm einer konsequenten Entontologisierung, das heißt im Verzicht auf die unbegründete Annahme unterschiedlicher Gegenstandskategorien, insbesondere sogenannter abstrakter Gegenstände, die als Folge einer sprachlichen Irreführung gedeutet wird. Die Rede von abstrakten Gegenständen wird rekonstruiert als gegenüber gewissen Austauschungen invariante Rede von “konkreten” Gegenständen. Insbesondere wird die Rede über Sachverhalte, Tatsachen und Wirklichkeit verstanden als eine entsprechenden Einschränkungen unterworfene Rede über Aussagen. Hier kann nicht erläutert werden, wie das im einzelnen zu denken ist. Aber es dürfte auch so deutlich werden, daß dies eine Umkehrung der geläufigen Sicht des Verhältnisses von Wirklichkeit und Sprache bedeutet Für die traditionellere Auffassung als Abbildverhältnis wurde in der Neuzeit häufig die Metapher des Prägestempels benutzt, den die Wirklichkeit dem Bewußtsein aufdrückt, dessen Inhalte dann wiederum sprachlich ausgedrückt werden. Eine (zaghaftere) gegenläufige Bewegung deutet sich in der Metaphorik Wittgensteins an, der im noch der Abbildtheorie verpflichteten Tractatus das Bild nicht mehr als Stempelabdruck, sondern als (gegenständlich gemeinten) Maßstab deutet, der an die Wirklichkeit angelegt wird und diese mit den “äußersten Punkten der Teilstriche“ berührt. 6 Generell besteht aber die Schwäche der Abbildtheorie darin, daß sie suggeriert, es könne sinnvoll von einer sprachlich nicht vermittelten Wirklichkeit geredet werden, deren Übereinstimmung mit den sie wiedergebenden Aussagen durch Vergleich festgestellt werden kann.

Entsprechendes gilt auch in Bezug auf die Annahme eines ohne sprachliche Vermittlung vorgegebenen Bewußtseins und einer zugehörigen Abbildungsbeziehung, in der Worte und Aussagen lediglich Zeichen sind für Bewußtseinsgegenstände wie Begriffe und Gedanken, für die sie sozusagen stellvertretend stehen. Die Problematik mentaler Termini wie “Bewußtsein“, “Gedanken“, “Selbstbewußtsein”, „Empfindung”, “Vorstellung“, „Bewußtseinsakt“, die über die des bereits oben angesprochenen Verhältnisses von Sprache und Denken hinausreicht, hat deshalb zentrale Bedeutung, weil neuzeitliche Philosophie von Descartes bis zu Husserls Phänomenologie in mentalen Termini artikuliert worden ist. Mit einem mentalistischen Ansatz der Philosophie verbinden sich einige charakteristische Schwierigkeiten: dazu gehören die Gefahren des Psychologismus und des Solipsismus sowie das Problem der wechselseitigen Vermittlung zwischen “äußeren“ und “inneren“ (mentalen) Zuständen und Ereignissen. 7 Sprachkritische Philosophie fügt durch ihre Einwände gegen die ontologische Unterstellung von Bewußtseinsgegenständen zunächst eine weitere hinzu, sie bietet aber auch die Möglichkeit eines Ansatzes, der die genannten Schwierigkeiten vermeidet und der hier in Anknüpfung und Gegenüberstellung mit dem Descartes’ dargestellt werden soll. Descartes zielt ab auf die Errichtung eines sicheren Fundaments unseres Wissens. Zu diesem Zweck geht er so vor, daß er zu einem Zeitpunkt, zu dem er “ohne jede zerstreuende Unterhaltung und überdies auch glücklicherweise ohne alle beunruhigenden Sorgen und Leidenschaften” ist, sich in seinem Zimmer erschließt und nachdenkt. 8 Dabei versucht er zunächst, alles auszuschließen, was bezweifelt werden kann, also beispielsweise überkommene Lehren und Argumentationen, die Gestalt und Existenz der Außenwelt und der Vorstellung von ihr, die Beschaffenheit des eigenen Körpers. Erwähnenswert ist aber auch, was er nicht ausschließt, weil er es als Voraussetzung nämlich gar nicht bemerkt: die bei seinen Überlegungen benutzte Sprache – und damit alles, was in diese Sprache Eingang gefunden hat, sowie alle sprachlich bedingten Irrtumsmöglichkeiten. Eine sprachkritische Alternative kann deshalb nicht einfach in einer terminologischen Überarbeitung dieser Überlegung bestehen. Sie muß die von Descartes gewählte Grundsituation des einsam denkenden Ichs, das gleichsam die Hochstilisierung des eingeschlossenen Philosophen darstellt und das als weltloses, aber keineswegs sprachloses Bewußtsein der äußeren Welt gegenübergestellt wird, ersetzen durch eine andere, die die benutzte Sprache nicht unbezweifelt voraussetzt, nämlich die des Spracherwerbs. Diese ist nun ganz im Gegenteil nicht die eines isolierten Subjekts, sondern die einer im Zusammenhang mit anderen Handlungen stehenden, „geselligen“ Einübung in sprachliches Handeln, dessen Regeln und Normen dann dem seine Sprache nicht Reflektierenden angeboren scheinen mögen, die aber gleichwohl als gemeinsam erlernte die Möglichkeit intersubjektiver Verständigung und Wissensbildung gewährleisten. Dabei bestimmt sich die Bedeutung sprachlicher Handlungen nach ihrem erlernten Gebrauch innerhalb eines Handlungszusammenhangs, ohne auf durch sie bezeichnete mentale oder sonstige abstrakte Gegenstände Bezug nehmen zu müssen. Zur Beschreibung dieser Grundsituation bedarf es deshalb keiner mentalistischen, sondern lediglich sprachphilosophischer Terminologie, die den Vorzug hat, an intersubjektiv zugänglichen Gegenständen eingeführt werden zu können. Daß diese Revision einer für die gesamte Philosophie der Neuzeit bestimmenden Sichtweise — ihre Richtigkeit unterstellt — philosophisch relevant ist, bedarf wohl keiner Erläuterung. Gegen den naheliegenden Einwand, daß die Philosophie damit nur ihre eigenen, selbst geschaffenen Probleme löse, spricht die Tatsache, daß diese Sichtweise nicht auf die Philosophie beschränkt ist, sondern – beispielsweise, aber nicht nur – die gesamten Geistes- und Sozialwissenschaften weitgehend beherrscht.

Für die unmittelbar mit Sprache befaßten Wissenschaften ist leicht einzusehen, daß der angesprochene Wechsel des Sprachmodells dort auch inhaltlich relevant wird. 9 Seine generelle Wichtigkeit für die Sozialwissenschaften resultiert aus der Tatsache, daß soziale Beziehungen stets auch sprachlich konstituiert sind, 10 sowie aus dem exemplarischen Charakter von Überlegungen über sprachliches Handeln für solche über Handeln allgemein. Die Konzeption einer Disziplin Psychologie schließlich ist bereits von ihrer Entstehung her eng verknüpft mit einer mentalistischen Anschauung, die eine Dualität von äußeren und inneren (geistigen, seelischen) Ereignissen und Zuständen unterstellt. 11 Ähnliches läßt sich, wie schon ihr Name andeutet, für die Geisteswissenschaften insgesamt behaupten. Darüber hinaus ist für alle Bereiche wissenschaftlichen und außerwissenschaftlichen Redens und Handelns bedeutsam, daß ontologische und mentalistische Sichtweisen, indem sie dem sprachlichen “Ausdruck“ nur sekundäre Bedeutung einräumen, der Einsicht in den transzendentalen Charakter der Sprache für Wissens- und Willensbildung und damit in die Wichtigkeit sprachkritischen Vorgehens im Weg stehen. Mittelbar werden auch der “öffentliche“ Anteil an der Konstituierung scheinbar “privater” Erkenntnis und die darauf gründenden Möglichkeiten der Veränderung und Verbesserung intersubjektiver Verständigung und Wahrheitsfindung dem Blick entzogen. Umgekehrt zeigt sich erst im Vollzug eines sprachkritischen Aufbaus der eigenen Sprache, daß die Formulierung einer Theorie sprachfreier Wirklichkeit oder sprachfreien Bewußtseins nicht möglich ist; es zeigt sich aber auch, daß eine “handlungsfreie” Konzeption von Sprache, das heißt eine, die die Konstituierung von Sprache im Zusammenhang der “Praxis” oder der „Lebenswelt” unterschlägt, ebenfalls nicht gelingen kann.

Daß sich ontologische und mentalistische Sichtweisen nicht nur in Philosophie finden, sondern weit verbreitet innerhalb und außerhalb der Wissenschaften, kann in ein Argument gegen die Relevanz der Philosophie gewendet werden, wenn man darauf verweist, daß es sich bei den durch sic gelösten Problemen, wenn schon nicht nur um ihre eigenen, so doch um von der Philosophie geschaffene handle, denen man am besten aus dem Weg gehen könne, indem man sich zum Beispiel als Fachwissenschaftler auf die Ausübung seiner fachwissenschaftlichen Tätigkeit beschränke und alle Reflexionen auf diese Tätigkeit meide, die in die gefährliche Nähe philosophischer Probleme führen könnten. Als scheinbar konsequente Fortführung der Absicht, philosophische Probleme durch Sprachkritik zum Verschwinden zu bringen, wirkt die Methode, falsche philosophische Positionen dadurch zu vermeiden, daß man überhaupt keine einnimmt, auf den ersten Blick überzeugend. Diese Konzeption vom Wissenschaftler als einfachem Wilden hat aber einen Mangel, der Theorien vorn einfachen Wilden gemeinhin anhaftet: Auch wenn sie sich individuell den Verführungen der Philosophie nicht aussetzen, befinden sich die faktisch vorfindlichen Wissenschaftler nicht mehr im Stand erkenntnistheoretischer Unschuld, und ihr Denkverzicht bewirkt nicht das Verschwinden irriger Vorstellungen, sondern lediglich deren unbemerktere Tradierung. Dies ist kein zufälliges Unglück gerade unserer wissenschaftshistorischen Situation, denn es wäre in der Tat eine Überschätzung der Relevanz der Philosophie und der Philosophen, wollte man annehmen, die kruden Gedanken einiger Vertreter dieser Disziplin könnten jahrhundertelang die intellektuelle Welt auf falsche Pfade führen, wenn diese Irrtümer nicht durch die Sache selbst nahegelegt würden; vielmehr hat “die Sprache (…) selbst hinter sich alle Übergänge vernichtet und die Spur ihres Weges unkenntlich gemacht: sie selbst hat die Leiter fortgenommen, nachdem wir oben sind.” 12

  1. Friedrich Heinrich Jacobi, Sendschreiben an Erhard O, in: F. H. Jacobi, Werkt, Bd. I. Darmstadt 1968 (Reprogr. v. Leipzig 1812) S.251 ff ↩︎
  2. Johann Georg Hamann, Metakritik über den Purismum der Vernunft, in: J. G. Hamann, Schriften zur Sprache, Frankfurt 1967, S. 222 ↩︎
  3. VgL dazu Hermann-Josef Cloeren / Siegfried J. Schmidt, Philosophie als Sprachkritik Im 19. Jhdt. 1/11, Stuttgart-Bad Cannstatt 1971 ↩︎
  4. Friedrich Max Müller, Das Denken im Lichte der Sprache, Leipzig 1888, zit. nach Cloeren/Schmldt a.a.O., II S. 64 ↩︎
  5. Otto Friedrich Gruppe, Antäus. Ein Briefwechsel über spekulative Philosophie in Ihrem Conflict mil Wissenschaft und Sprache, Berlin 1831, zit. nach Cloeren/Schmidt a.a.0., I S. 31 f. ↩︎
  6. Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophlcus, 2.1511 ff. ↩︎
  7. Vgl. Herbert Schnädelbach, Reflexion und Diskurs. Fragen einer Logik der Philosophie, Frankfurt 1977, bes. S. 43 ff. ↩︎
  8. Descartes, Discours de la méthode, Hamburg 1960, S. 19 ↩︎
  9. Vgl. z. B. Hans J. Schneider, Pragmatik als Basis von Semantik und Syntax, Frankfurt 1975 ↩︎
  10. Vgl. z. B. Peter Winch, The Idea of a Social Science, London 1958, dt. Die Idee der Sozialwissenschaft und ihr Verhältnis zur Philosophie, Frankfurt 1966 ↩︎
  11. VgL Gilbert Ryle, The Concept of Mind, London 1949, dt Der Begriff des Geistes, Stuttgart 1969 ↩︎
  12. Otto Friedrich Gruppe, Antäus. Ein Briefwechsel über spekulative Philosophie in Ihrem Conflict mil Wissenschaft und Sprache, Berlin 1831, zit. nach Cloeren/Schmidt a.a.0., I S. 32 ↩︎