Die Rede von Zweck und Mittel

Klaus Prätor

Die Rede von Zweck und Mittel als Angabe von Begründungsabsichten

in: 16. Weltkongress für Philosophie 1978. Sektionsvorträge, Düsseldorf 1978 (wieder abgedruckt in den Kongressakten 1983)

Im folgenden geht es – in einer Formulierung LUHMANNs gesprochen – um die Frage, „welchen Sinn es hat, bestimmte (aber nicht alle] Wirkungen des ursächlichen Handelns als ‚Zweck‘, dieses selbst aber als ‚Mittel‘ auszuzeichnen“.1 Sie wird allerdings insofern erweitert, als auch die Voraussetzung einer Ursache-Wirkung-Beziehung und die als selbstverständlich unterstellte Beschränkung, die Handlungen stets nur Mittelcharakter, nie Zweckcharakter zugesteht, in Frage gestellt werden sollen. Die Untersuchung soll dazu beitragen, die weithin kontrovers beurteilte Bedeutung von Zweckrationalität für die rationale Argumentation um Handlungen und Normen zu klären.

Von einem Verhältnis von Ursache und Wirkung soll gesprochen werden, wenn das Bestehen eines Zustands S1 regelmäßig das Eintreten eines Zustands S2 zur Folge hat. Das Wissen vom Bestehen.einer Ursache-Wirkung-Beziehung erwirbt man über die handelnd zu gewinnende Sicherheit, dass ein Herbeiführen von S1 stets zum Eintreten von S2 führt.2 Ein Wirkungsverhältnis soll aber nur dann vorliegen, wenn S2 nicht begrifflich-logisch aus S1 folgt. Diese Begriffsbestimmung erlaubt es, von den Wirkungen einer Handlung Handlungsergebnisse zu unterscheiden, deren Erreichen so eng mit der Ausführung der Handlung verbunden gedacht wird, dass im Fall ihres Verfehlens die Handlung selbst als misslungen zu gelten hat. Wird ein Handlungsergebnis nicht erreicht, so wird dadurch keine empirisch zu vergewissernde Regelmäßigkeit widerlegt, sondern lediglich deutlich, dass die Handlung nicht korrekt ausgeführt wurde. Gleichwohl mag es sinnvoll sein, auch das Ergebnis einer Handlung als ihren Zweck zu bezeichnen. Diese Zweckangabe ist dann nicht analytisch, wenn von Zweck so geredet werden kam, dass das Ergebnis einer Handlung nicht notwendig ihr Zweck sein muss. So könnte zum Beispiel Zweck des Durchsägens eines Brettes nicht die Teilung des Brettes, sondern die Erzeugung eines Geräuschs für ein Hörspiel sein.

Deutlicher als bei diesem Beispiel werden die Nachteile der Bindung des Zweck-Mittel-Verhältnisses an das von Ursache und Wirkung dort, wo ein Zweck nicht als Ergebnis einer Handlung, sondern durch eine sinnvolle Kombination mehrerer Handlungen erreicht wird. Zum Beispiel setzt die Einführung eines Begrlffs innerhalb eines terminologischen Systems in der Regel eine Reihe vorhergehender Begriffsbestimmungen voraus, die als Mittel zu seiner Einführung gelten können, ohne dass man sinnvollerweise sagen könnte, sie bewirkten (einzeln oder zusammen) die Bestimmung des fraglichen Begriffs. Insbesondere wenn die Erreichung eines Zwecks davon abhängt, dass man andere Personen zu gewissen Handlungen veranlassen kann, lässt sie sich nicht als Wirkung der Handlungen betrachten, mit denen man die anderen zur Ausführung der angestrebten Handlungen zu bewegen sucht, obwohl die beeinflussenden Handlungen als Mittel dazu verstanden werden können.

Die genannten Schwierigkeiten geben Anlass, für die Bestimmung der Zweck-Mittel-Beziehung anstelle des Begriffs der Wirkung den allgemeineren der Bedingung zu wählen. Er hat den Vorzug, neben Wirkungsbeziehungen auch solche wie die zwischen Handlung und Handlungsergebnis zu umfassen, und erlaubt darüber hinaus, auch dann von Mitteln als notwendigen Bedingungen zur Erreichung eines Zwecks zu sprechen, wenn sie für sich allein keine hinreichenden sind, oder wenn es vielleicht dem Handelnden gar nicht möglich ist, hinreichende Bedingungen herzustellen, er (allein) also den Zweck nicht bewirken kann. Ob etwas hinreichende Bedingung ist, überprüft man, indem man sich vergewissert, dass der bedingte Sachverhalt stets eintritt, wenn man den bedingenden herstellt; wenn die Beseitigung oder Verhinderung eines Sachverhalts (auch dass jemand handelt, ist ein Sachverhalt) stets die Beseitigung oder Verhinderung eines anderen zur Folge hat, ist der erste notwendige Bedingung des zweiten. Eine Bedingung ist schließlich auch ein Sachverhalt, der in Adjunktion mit anderen eine komplexe notwendige Bedingung bildet, derart dass nicht alle, aber mindestens einer dieser Sachverhalte notwendig für das Eintreten des bedingten Sachverhalts ist. Die Gewissheit, dass ein Bedingungsverhältnis vorliegt, wird in der Regel handelnd erworben, insbesondere lassen sich die Worte „notwendige Bedingung“ und „hinreichende Bedingung“ nur im Zusammenhang entsprechender Handlungen erlernen. Aber deshalb werden Bedingungen nicht stets handelnd erstellt, und natürlich können die Bedingungen selbst nicht nur in Handlungen bestehen, sondern auch in anderen Sachverhalten, speziell auch darin, dass gewisse Gegenstände zur Verfügung stehen. Mittel, insofern sie Bedingungen für die durch sie zu erreichenden Zwecke bilden, müssen demnach nicht immer Handlungen sein.

Umgekehrt ist zu fragen, ob die durch den Gebrauch von „Zweck“ als Gegenbegriff zu „Handlung“ nahegelegte Beschränkung sinnvoll ist, Handlungen nur, insoweit sie Mittel, und Zwecke nur, insofern sie nicht Handlungen sind, in Betracht zu ziehen. Demgegenüber lassen sich durchaus Handlungen denken, wie zum Beispiel Küssen, die zumindest manchmal ausgeführt werden, ohne Mittel zu einem Zweck zu sein. Hier als Zweck stets ein bestimmtes Wohlgefühl oder ähnliches anzunehmen, entspringt wohl eher dem Ergänzungsbedürfnis einer an Zweck und Mittel orientierten Rede- und Denkweise als inhaltlichen Erfordernissen. Zudem wird dabei die nicht immer zutreffende Voraussetzung gemacht, dass das Wohlgefühl in verschiedenen Situationen als das prinzipiell gleiche gelten kann. 3

Ferner ist auch leicht vorstellbar, dass Handlungen Zwecke sind, zum Beispiel dann, wenn gewisse Vorbereitungen getroffen werden müssen, um ihre Ausführung zu ermöglichen (Wasser einlassen, um zu baden). Beim genannten Beispiel könnte man sagen, dass Zweck hier ein Zustand sei, in dem die Gelegenheit besteht, die betreffende Handlung auszuführen. Auch das spräche nicht für die Notwendigkeit, sondern nur für die Möglichkeit, Handlungen nicht als Zwecke zuzulassen. Im folgenden Fall scheint mir auch die Möglichkeit nicht mehr gegeben zu sein: Wird jemand zu einer Handlung H aufgefordert, so ist die Aufforderung ebenfalls eine Handlung. Sie bezweckt die Ausführung von H, ohne dass sich in diesem Fall sagen ließe, dass sie einen Zustand herstellt, der die Ausführung von H erst ermöglicht. Zugegebenermaßen wurde bisher an ein bloß umgangssprachliches Vorverständnis von „Zweck“ und „Mittel“ appelliert. Die Beispiele sollen aber nicht als Kriterien für die‘ Richtigkeit eines Gebrauchs von „Zweck“ und „Mittel“ gelten, sondern lediglich denkbaren Suggestionen über die Möglichkeiten der Verwendung dieser Worte entgegentreten, die ihrerseits auch dort, wo sie terminologisch fixiert sind, umgangs- beziehungsweise bildungssprachlichen Traditionen entstammen.

Um zu entscheiden, welche Begriffsbestimmung von „Zweck“ und „Mittel“ als angemessen anzusehen ist, muss danach gefragt werden, in welchen Zusammenhängen die Rede von Zweck und Mittel verwendet und benötigt wird. Mein kann sagen, dies sei der Fall, wenn „mit der Aufforderung zu einer Handlung H – in der Meinung, dass A eine Wirkung von H sei – die Aufforderung verbunden (wird), den Zustand A herbeizuführen“.4 Wann aber besteht ein Anlass, diese Aufforderung mit der ersten zu „verbinden“ ? Ersichtlich nicht dann, wenn die Befolgung der ersten Aufforderung zu erwarten steht, weil A dann auch ohne eigene Aufforderung als Wirkung einträte, aber immer dann, wenn jemand zur Ausführung von H bewegt werden soll. Das Anführen von A dient in diesem Fall dazu, Zustimmung zur Aufforderung zu H zu erlangen. Wenn dies in einer rationalen Beratung geschieht, kann man sagen, es diene der Begründung dieser Aufforderung. Man kann die Angabe von A dann als eine Ankündigung über die Argumentationsabsichten des Auffordernden verstehen, nämlich eine Einigung über die Herstellung von A herbeizuführen (oder bereits vorauszusetzen] und auf dieser Basis für die Ausführung von H zu argumentieren, wobei ein Teil dieses zweiten Teils der Argumentation in einer theoretischen Beratung darüber bestehen wird, ob H Bedingung für A ist. Will jemand für ein Ziel A nicht ausschließlich als Mittel zur Verfolgung anderer Ziele argumentieren, soll gesagt werden, er begehre A. Wenn er in einer Beratung über die Herbeiführung von A äußert, dass er A begehre, so gibt er nach dem hier vorgeschlagenen Sprachgebrauch zwar keine Begründung an, aber die Äußerung ist auch nicht nur eine (sinnlose) Wiederholung der Aufforderung zur Herbeiführung von A, sondern — genauso wie die Angabe eines Zwecks — eine Kundgabe von Begründungsabsichten.

Ist die gegebene Deutung des Sinns der Rede von Zweck und Mittel angemessen, so spricht nichts für die Notwendigkeit, nur Handlungen als Mittel zuzulassen. Ganz im Gegenteil ist es dann für die Funktion der Begriffe Zweck und Mittel nützlich, dass ein Sachverhalt, der in einer Argumentation als Zweck angeführt wird, in einer anderen als Mittel gelten kann, zum Beispiel ein Werkzeug (bzw. der Sachverhalt, es zur Verfügung zu haben) bei seiner Herstellung als Zweck, bei seinem Einsatz als Mittel. Zwecke und Mittel bezeichnen mithin nicht verschiedene Arten von Gegenständen. Weil sie eben dieses suggeriert, ist die Redeweise abzulehnen, die Handlungen und Zwecke einander gegenüberstellt und damit die Unterscheidungen von Zwecken und Mitteln einerseits und von Handlungen und Nicht-Handlungen andererseits in eine zusammenzieht. Sie verleitet außerdem zu der Annahme, dass, sobald von Handlungen gesprochen werden kann, sinnvoll auch von Mitteln und Zwecken zu reden ist. Dies führt zum einen dazu, dass die Frage nach dem Sinn der Rede von Zweck und Mittel als eigenes Problem nicht gesehen wird. Zum andern wird der Handlungsbegriff auf solche (im weiten Sinn produktive) Handlungen eingeengt, die gleichsam die Bindeglieder zwischen einer Reihe von Zuständen bilden, die durch Handlungen ineinander übergeführt werden, ihrerseits aber nicht in Handlungen bestehen. Dagegen wird hier vorgeschlagen, dass nicht in jeder Handlungssituation, sondern erst dann, wenn Handlungen beraten oder überlegt werden, die Rede von Zweck und Mittel sinnvoll einzuführen ist. In diesen Situationen kann es nicht darum gehen, bereits vor einer Beratung irgendwie vorhandene Zwecke aufzuspüren und nun als Gründe zu verwenden. Erst in der beratenden Rede werden die Zwecke konstituiert.

An Handlungssituationen festgemachte terminologische Vorschläge bestimmen „Zweck“ häufig als „gewolltes Resultat einer Handlung“. Dies ist unangemessen, weil für die Zwecksetzung nicht das faktische, sondern das erwartete Resultat einer Handlung entscheidend ist. Ein unerwartet nicht erreichtes Resultat bleibt Zweck einer Handlung. Umgekehrt wird ein Ziel als ein gewollter Sachverhalt nicht zum Zweck einer Handlung, wenn es unerwartet durch sie erreicht wird. Es werden aber auch nicht alle gewollten und erwarteten Resultate einer Handlung durch einen sinnvollen Gebrauch von „Zweck“ abgedeckt. Zweck eines Spaziergangs muss nicht die Gesundheit sein, nur weil der Spazierengehende auch an seiner Gesundheit interessiert ist und ihm die gesundheitsfördernde Wirkung des Spazierengehens bekannt ist. Entscheidend ist, ob er es (gegenüber anderen oder für sich selbst) über dieses Resultat begründen will. Damit erklärt sich auch die erste Einschränkung, weil bei der Begründung natürlich die erwarteten, nicht die faktischen Resultate benutzt werden.

Hier kann nur angedeutet werden, dass durch die Konstituierung des Zweckbegriffs in Situationen des Beratens auch eine präzisere Fassung der mit der Deutung von Zwecken verbundenen Ansprüche möglich ist. Wenn das Verstehen von Zwecken darin besteht, Argumentationsstrategien für Handlungen oder Interessen zu finden, so sind sie nicht durch die Handlungen oder die handelnden Personen schon festgelegt, sondern prinzipiell intersubjektiv zugänglich. Es ist durchaus denkbar, jemandem Argumentationsstrategien vorzuschlagen, die er sich als Verbesserungen seiner ursprünglichen zu eigen machen kann, ohne damit seine Ziele zu ändern. Deutungen können aber auf die faktisch von jemandem zu erwartenden Argumentationsstrategien beschränkt werden. Die durch derartige Einschränkungen sich ergebenden unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten sind unproblematisch, wenn bei jeder Rekonstruktion von Begründungsabsichten die für sie geltenden Rahmenbedingungen angegeben werden. Weiterhin Ist es möglich, ohne in begriffliche Widersprüche zu geraten, einer Handlung in verschiedenen Argumentationszusammenhängen unterschiedliche Zwecke zu unterlegen.

Schließlich bleibt festzuhalten, dass mit einem Zweck zunächst nur eine Begründungsabsicht und nicht schon eine Begründung angegeben wird. Vergleichbar mit logischen Ableitungsschritten liefert die Angabe von Zwecken nur relative Begründungsschritte, die keine inhaltlichen Begründungen (auch keine Teile einer solchen) darstellen, sondern nur Begründungsstrategien, Dementsprechend ist eine Aufforderung, für die kein Zweck genannt wird oder werden kann, nicht schon per definitionem unbegründbar. Was inhaltlich begründet werden kann und inwiefern dabei von „Zweckrationalität“ Gebrauch zu machen ist, kann nur unter Inanspruchnahme eines Begriffs inhaltlicher Begründung untersucht werden. Im folgenden beziehe ich mich implizit auf einen an Kriterien rationalen Dialogs ausgerichteten Begründungsbegriff, wie er innerhalb konstruktiver Wissenschaftstheorie (und in verwandter – allerdings unterschiedener – Weise in der Kritischen Theorie) expliziert wurde.5

In einem ersten Sinn von Zweckrationalität handelt derjenige (technisch) zweckrational, der bei der Verfolgung eines Zwecks brauchbare Mittel anwendet. Dies ist rational, weil, wer einen Zweck angibt, damit die Absicht ankündigt, für den Zweck zu argumentieren und das Mittel als Bedingung zur Erreichung das Zwecks auszuweisen. Gelingt dies nicht, so ist die beabsichtigte Begründung gescheitert. Das ergibt sich allein aus der Begriffsbestimmung von „Zweck“. Ein anderes Verständnis von Zweckrationalität liegt der Bestimmung zugrunde, dass derjenige (ethisch) zweckrational handelt, der für seine Handlungen und Ziele Zwecke angibt und im Fall der Nichtbegründ— barkeit dieser Zwecke auf die Ausführung der Handlungen beziehungsweise auf die Verfolgung der Interessen verzichtet. Während der erste Sinn von Zweckrationalität die Absicht, ein Ziel als Mittel zu einem Zweck zu rechtfertigen, voraussetzt, wird hier gefordert, dies zu tun. Da gemäß dem oben vorgeschlagenen Verständnis die Angabe eines Zwecks noch keine Begründung darstellt, sondern lediglich eine Begründungsabsicht, müsste zur Begründung der Forderung gezeigt werden, wie durch Rückgang auf Zwecke Ziele begründet werden, und darüber hinaus, dass eine andere Rechtfertigung von Zielen nicht möglich ist. Keinesfalls impliziert die Anerkennung des ersten (technischen) Sinns von Zweckrationalität auch die des hier angesprochenen.

Allein durch die Anführung eines Zwecks wird eine Zielsetzung nicht rationaler als eine bloß begehrte, aber es ist rational, für Zielsetzungen nach Möglichkeit Zwecke anzugeben, weil so differenziertere Begründungen ermöglicht werden können. Rationalität wird dabei nicht von der Zielsetzung behauptet, sondern von der die Unterscheidung von Zweck und Mittel benutzenden Rede über sie. Auch dies wird mit dem Terminus Zweckrationalität bezeichnet, Davon abgeleitet werden Ziele im weiteren Sinn zweckrational genannt, die in einer Argumentation unter Benutzung der Begriffe Zweck und Mittel gerechtfertigt wurden. Wenn beispielsweise gegen ein Ziel durch den Verweis auf die Nichtverfügbarkeit der erforderlichen Mittel beziehungsweise auf die Unvertretbarkeit des Aufwands für ihre Bereitstellung argumentiert wird, so ist dies nur zweckrational im weiteren Sinn. Zur ethischen Zweckrationalität bildet dieser Fall geradezu die Umkehrung, so dass man hier von Mittelrationalität oder – wegen der Argumentation auf der Basis der Knappheit der Mittel – von ökonomischer Rationalität sprechen könnte.

Die Hoffnung auf inhaltliche Begründbarkeit von Zielen beruht häufig auf der Erwartung, dass sich eine Zweck-Mittel-Hierarchie erstellen lässt, an deren Spitze einige allgemein anzuerkennende Zwecke stehen, von denen ausgehend die anderen Ziele dann, eventuell über mehrere Stufen, als Mittel gerechtfertigt werden können. Schwierigkeiten ergeben sich dadurch, dass Zwecke, da sie ohne die erforderlichen Mittel nicht erreicht werden können, nicht unabhängig von der Rechtfertigung der benötigten Mittel zu rechtfertigen sind. Die Meinung, dass Mittel und Zwecke verschiedene Arten von Gegenständen seien, hat unter anderem zu dem Irrtum beigetragen, dass Mittel im Unterschied zu Zwecken nur einer technischen Begründung bedürften. Diese kann jedoch nur die Geeignetheit für den jeweiligen Zweck erweisen. Eine Rechtfertigung muss darüber hinaus zumindest schädliche Folgen und alternative Einsatzmöglichkeiten berücksichtigen. Denkt man dabei an ein so vielfältig einsetzbares Mittel wie die zur Erreichung eines Zwecks erforderliche Zeit, so wird man die Möglichkeit skeptisch beurteilen, Ziele schrittweise und zirkeifrei über Zweckhierarchien inhaltlich begründen zu können.

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass ein Ziel wie die Erhaltung des physischen Lebens für das man vielleicht noch am ehesten Allgemeingültigkeit beanspruchen würde, nicht als oberster Zweck oder als Selbstzweck verstanden werden kann. Eher ließe es sich als ein Beispiel für ein universelles Mittel deuten, weil es eine notwendige Bedingung für die Verfolgung von Zielen überhaupt darstellt. Dass es unabhängig von der Angabe bestimmter Zwecke zu rechtfertigen ist, erlaubt nicht die Folgerung, es lasse sich unabhängig von übergeordneten Zwecken rechtfertigen. Selbst in einer fiktiverweise angenommenen einfachen Gesellschaft, in der nur Handlungen ausgeführt werden, die der Lebenserhaltung dienen, kann nicht von der physischen Lebenserhaltung als oberstem Zweck gesprochen werden, weil das erhaltenswerte Leben hier die lebenserhaltenden Handlungen umfasst, relativ zu denen die physische Lebenserhaltung wiederum ein Mittel darstellt. Die hier sichtbar werdende Wechselbezüglichkeit von Mitteln und Zwecken ist auch in komplexeren Lebens- und Handlungszusammenhängen aufzuweisen. Sie signalisiert die Grenzen der Leistungsfähigkeit der Rede von Zweck und Mittel für die rationale Argumentation um Handlungen und Normen.

  1. Niklas Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, Frankfurt 1973,S.23 ↩︎
  2. Dies im Anschluss an von Wright, Vgl. Georg Henrik von Wright, Erklären und Verstehen, Frankfurt 1974, S.42ff. ↩︎
  3. Vgl. z.B. Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, In Swanns Welt 1, Frankfurt 1961 ff., S.210. ↩︎
  4. Oswald Schwemmer, Grundlagen einer normativen Ethik, S.80, in: F.Kambartel / J.Mittelstraß, Zum normativen Fundament der Wissenschaft, Frankfurt 1973 ↩︎
  5. Vgl. z.B. Paul Lorenzen, Normative Logic and Ethics, Mannheim 1969; Friedrich Kambartel, Moralisches Argumentieren – Methodische Analysen zur Ethik, in: ders., Praktische Philosophie und konstruktive Wissenschaftstheorie, Frankfurt 1974. Für die Kritische Theorie: Jürgen Habermas, Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der kommunikativen Kompetenz, in: J.Habermas / N.Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie, Frankfurt 1971 ↩︎

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