Überschrift und Bild dieses Eintrags sind grob irreführend. Es geht nicht um die Angst vor einem konkreten Nashorn, sondern um die vor dem Gattungsabstraktum das Nashorn, also ein eher sperriges Thema. Normale Menschen haben davor keine Angst, allenfalls Leute , die für philosophische Probleme anfällig sind. Zu den Abstrakta gehören Begriffe wie Begriff, Zahl, Menge, aber auch Ware oder eben Gattungsnamen. Marx beschrieb seine Probleme mit der Warenabstraktion so:
Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. [… Ein Tisch bleibt Holz], ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.
Denn Abstrakta sind ja nicht sinnlich konkret, sondern vielleicht nur Ideen. Gibt es die in Wirklichkeit? Im Universalienstreit des Mittelalters war das ein Jahrtausendthema und tauchte dann in der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, die solche philosophische Probleme überwunden zu haben glaubte, hinterrücks wieder auf.
Hier geht es um einen Lösungsvorschlag aus Richtung der konstruktiven Wissenschaftstheorie und um einige Schwierigkeiten damit. Das beginnt mit punktuellen Problemen, die aber zu Widersprüchen in der Theorie führen – vergleichbar der berühmten Antinomie der Mengenlehre -, und endet in einer grundsätzlichen Umgestaltung der konstruktiven Abstraktionstheorie mit zwei Hauptaspekten: Zum einen wird (am Beispiel des abstrahierenden Übergangs von Wörtern zu Begriffen) der Ausgangspunkt von einer Ununterschiedenheit in der nachträglichen Rede über Wörter ersetzt durch eine entsprechende Gleichbehandlung beim direkten Gebrauch der Wörter. Zum anderen wird vorgeschlagen, zwischen Individuen und Gegenständen unterschieden, in der Hoffnung, so die Bedenken zu vermeiden, die manchen Philosophen Angst vor dem Nashorn als einem abstrakten Gegenstand machen.
Ich habe das Thema in unterschiedlichen Kontexten behandelt, zunächst in den frühen Siebzigerjahren in der Lehre an der RWTH Aachen, dann auch im Rahmen eines dort 1983 veranstalteten Kolloquiums „Aspekte der Abstraktionstheorie“, 1988 beim Raderverlag in Aachen erschienen (Redaktion: Klaus Prätor). Darin ist es veröffentlicht als „Wer hat Angst vor dem Nashorn? Einige Bedenken nicht nur zur konstruktivistischen Abstraktionstheorie“. Eine frühere Veröffentlichung spart die konstruktive Abstraktionstheorie weitgehend aus und konzentriert sich auf das zentrale Thema des Interesses an Gegenständen – anknüpfend an deren Bedeutung für logische Elementarsätze und die Protokollsätze des logischen Empirismus. Anlass war ein Kongress 1982 in Wien zu den hundertsten Geburtstagen von Schlick und Neurath. Der Vortrag erschien in den Kongressakten und den Grazer philosophischen Studien, Bd. 16/17. Eine späte Fassung mit dem Titel Individuen und Referenzobjekte, arbeitet insbesondere diese Unterscheidung heraus, hat aber den Nachteil, eine Kenntnis der konstruktiven Abstraktionstheorie vorauszusetzen. Sie ist erschienen in: Bernhard, Peckhaus (Hrsg.), Methodisches Denken im Kontext. Festschrift für Christian Thiel, Paderborn 2008, S. 359 – 370.